Max Frisch : Fragebogen
Sind Sie sicher, dass Sie die Erhaltung des Menschengeschlechts, wenn Sie und alle Ihre Bekannten nicht mehr sind, wirklich interessiert?
Warum? Stichworte genügen.
Wie viele Kinder von Ihnen sind nicht zur Welt gekommen durch Ihren Willen?
Wem wären Sie lieber nie begegnet?
Wissen Sie sich einer Person gegenüber, die nicht davon zu wissen
braucht. Ihrerseits im Unrecht und hassen Sie eher sich selbst oder die
Person dafür?
Möchten Sie das absolute Gedächtnis?
Wie heisst der Politiker, dessen Tod durch Krankheit,
Verkehrsunfall usw. Sie mit Hoffnung erfüllen könnte? Oder halten Sie
keinen für unersetzbar?
Wen, der tot ist, möchten Sie Wiedersehen?
Wen hingegen nicht?
Hätten Sie lieber einer andern Nation (Kultur) angehört und welcher?
Wie alt möchten Sie werden?
Wenn Sie Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen gegen den Widerspruch der Mehrheit?
Ja oder Nein.
Warum nicht, wenn es Ihnen richtig scheint?
Hassen Sie leichter ein Kollektiv oder eine bestimmte Person und hassen Sie lieber allein oder in einem Kollektiv?
Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie klüger werden, oder meinen Sie‘s noch? Angabe des Alters.
Überzeugt Sie Ihre Selbstkritik?
Was, meinen Sie, nimmt man Ihnen übel und was nehmen Sie sich
selber übel, und wenn es nicht dieselbe Sache ist: wofür bitten Sie
eher um Verzeihung?
Wenn Sie sich beiläufig vorstellen, Sie wären nicht geboren worden, beunruhigt Sie diese Vorstellung?
Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschten Sie, dass der Verstorbene
zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas
sagen?
Lieben Sie jemand?
Und woraus schliessen Sie das?
Gesetzt den Fall, Sie haben nie einen Menschen umgebracht: wie erklären Sie es sich, dass es dazu nie gekommen ist?
Was fehlt Ihnen zum Glück?
Wofür sind Sie dankbar?
Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als ein gesundes Tier? Und als welches?
Halten Sie sich für einen guten Freund?
Was empfinden Sie als Verrat:
Wie viele Freunde haben sie zur Zeit?
Halten Sie die Dauer einer Freundschaft (Unverbrüchlichkeit) für ein Wertmass der Freundschaft?
Was würden Sie einem Freund nicht verzeihen:
Möchten Sie ohne Freunde auskommen können?
Halten Sie sich einen Hund als Freund?
Ist es schon vorgekommen, dass Sie überhaupt gar keine Freunschaft
hatten, oder setzen Sie dann Ihre diesbezüglichen Ansprüche einfach herab?
Kennen Sie Freundschaft mit Frauen:
Was fürchten Sie mehr: das Urteil von einem Freund oder das Urteil von Feinden?
Warum?
Gibt es Feinde, die Sie insgeheim zu Freunden machen möchten, um sie müheloser verehren zu können?
Wenn jemand in der Lage ist, Ihnen mit Geld zu helfen, oder wenn
Sie in der Lage sind, jemand mit Geld zu helfen: sehen Sie darin eine
Gefährdung der bisherigen Freundschaft?
Halten Sie die Natur für einen Freund?
Wenn Sie auf Umwegen erfahren, dass ein böser Witz über Sie
ausgerechnet von einem Freund ausgegangen ist: kündigen Sie daraufhin
die Freundschaft? Und wenn ja:
Wieviel Aufrichtigkeit von einem Freund ertragen Sie in Gesellschaft oder schriftlich oder unter vier Augen?
Gesetzt den Fall, Sie haben einen Freund, der Ihnen in intellektueller Hinsicht sehr überlegen ist,
tröstet Sie seine Freundschaft darüber hinweg oder zweifeln Sie insgeheim an
einer Freundschaft, die Sie sich allein durch Bewunderung, Treue,
Hilfsbereitschaft usw. erwerben?
Worauf sind Sie aus dem natürlichen Bedürfnis nach Freundschaft öfter hereingefallen:
Wie reden Sie über verlorene Freunde?
Wenn es dahin kommt, dass Freundschaft zu etwas verpflichtet, was
eigentlich Ihrem Gewissen widerspricht, und Sie haben es um der
Freundschaft willen getan: hat sich die betreffende Freundschaft dadurch erhalten?
Gibt es Freundschaft ohne Affinität im Humor?
Was halten Sie ferner für unerlässlich, damit Sie eine Beziehung zwischen zwei Personen nicht bloss als Interessen-Gemeinschaft, sondern als Freundschaft empfinden:
Wie gross kann dabei der Altersunterschied sein?
Wenn eine langjährige Freundschaft sich verflüchtigt, z.B. weil die
neue Gefährtin eines Freundes nicht zu integrieren ist: bedauern Sie
dann, dass Freundschaft einmal bestanden hat?
Sind Sie sich selber ein Freund?
Können Sie sich erinnern, seit welchem Lebensjahr es Ihnen
selbstverständlich ist, dass Ihnen etwas gehört, beziehungsweise nicht gehört?
Wem gehört Ihres Erachtens beispielsweise die Luft?
Was empfinden Sie als Eigentum:
Auch wenn Sie den betreffenden Gegenstand (Kugelschreiber, Schirm, Armbanduhr usw.) ohne weiteres ersetzen können, empört Sie der Diebstahl als solcher?
Warum?
Empfinden Sie das Geld schon als Eigentum oder müssen Sie sich dafür irgend etwas kaufen,
um sich als Eigentümer zu empfinden
und wie erklären Sie es sich, dass Sie sich umso deutlicher als Eigentümer
empfinden, je mehr Sie meinen, dass man Sie um etwas beneidet?
Wissen Sie, was Sie brauchen?
Gesetzt den Fall, Sie haben ein Grundstück gekauft: wie lange
dauert es, bis Sie die Bäume auf diesem Grundstück als Eigentum
empfinden,
d.h. dass das Recht, diese Bäume fällen zu lassen, Sie beglückt oder Ihnen zumindest selbstverständlich vorkommt?
Erleben Sie einen Hund als Eigentum?
Mögen Sie Einzäunungen?
Wenn Sie auf der Strasse stehenbleiben, um einem Bettler etwas
auszuhändigen, warum machen Sie immer so flink und so unauffällig wie
möglich?
Wie stellen Sie sich Armut vor?
Wer hat Sie den Unterschied gelehrt zwischen Eigentum, das sich
verbraucht, und Eigentum, das sich vermehrt, oder hat Sie das niemand
gelehrt?
Sammeln Sie auch Kunst?
Kennen Sie ein freies Land, wo die Reichen nicht in der Minderheit
sind, und wie erklären Sie es sich, dass die Mehrheit in solchen
Ländern glaubt, sie sei an der Macht?
Warum schenken Sie gerne?
Wieviel Eigentum an Grund und Boden brauchen Sie, um keine Angst zu haben vor der Zukunft? (Angabe in Quadratmetern.)
Oder finden Sie, dass die Angst eher zunimmt mit der Grösse des Grundeigentums?
Wogegen sind Sie nicht versichert?
Wenn es nur noch das Eigentum gäbe an Dingen, die Sie verbrauchen,
aber kein Eigentum, das Macht gibt über andere: möchten Sie unter
solchen Umständen noch leben?
Wieviele Arbeitskräfte gehören Ihnen?
Wieso?
Leiden Sie manchmal unter der Verantwortung des Eigentümers, die
Sie nicht den andern überlassen können, ohne Ihr Eigentum zu gefährden,
oder ist es die Verantwortung, die Sie glücklich macht?
Was gefällt Ihnen am Neuen Testament?
Da zwar ein Recht auf Eigentum besteht, aber erst in Kraft tritt,
wenn Eigentum vorhanden ist: könnten Sie es irgendwie verstehen,
wenn die Mehrheit Ihrer Landsleute, um ihr Recht in Kraft zu setzen. Sie eines Tages enteignen würde?
Und warum nicht?